Man sieht eine Europakarte, auf der verschiedene Teile mit Fäden verbunden sind. Im Vordergrund steht: "Solidarität. Hier, in Europa!"

Solidarität. Hier, in Europa!

Beschluss der 4. Tagung des 14. Landesparteitages in Radebeul.

Altiero Spinelli, Kommunist und Gefangener auf der Insel Ventotene, schrieb 1944 das Manifest für ein Vereintes Europa:

„Heute suchen und begegnen sich zur Ausarbeitung der Zukunft all jene, die die Gründe der gegenwärtigen Krise der europäischen Kultur erkannt haben, und daher das Erbe, das untergegangen war, in Verkennung der zu erreichenden Ziele oder der zu benutzenden Mittel, all jener Bewegungen zur Erhebung der Menschheit antreten. Der Weg, der uns erwartet, wird weder bequem noch sicher sein. Wir müssen ihn jedoch beschreiten, und wir werden es tun!“

Es bringt nicht viel, darüber zu philosophieren, ob wir mehr oder weniger Europa bräuchten. Worum es geht ist unser aller Leben. Es geht darum, das Gespenst der Armut zu vertreiben, Menschen ihre Rechte und ihre Stimme wiederzugeben und Perspektiven zu schaffen, die auch unseren Kindern und Kindeskindern ein Leben in Würde ermöglicht. Wir hören den Geschichten der Älteren zu, die sich Sorgen machen über den Zusammenhalt der Gesellschaft, die sich ängstigen vor dem Come-Back „alter Zeiten“. Wir hören denen zu, die seit Jahren in Knochenjobs malochen und ohne die es all den Reichtum einiger weniger überhaupt nicht gäbe. Und wir müssen auf die jungen Leute hören. Sie können sich ein Zurück zur nationalen Begrenztheit nicht vorstellen. Sie sprechen meist nicht nur ihre Heimatsprache und sie stört es, dass anderswo Menschen hungern oder im Meer ertrinken. Ihre Freund*innen kommen aus Polen, England oder sind Geflüchtete aus Syrien. Sie führen längst die Kämpfe dieses Jahrhunderts an, gegen rechten Geist und rechte Gewalt. Aus den sozialen und freiheitlichen Kämpfen sind sie ebenso wenig wegzudenken, wie die vielen Älteren, die sich im Unruhestand leidenschaftlich und ehrenamtlich engagieren. Immer mehr Menschen erkennen, dass da etwas nicht stimmt in Gesellschaft und Staat, das bessere Löhne nötig sind, um menschenwürdig zu leben und statt Spardiktaten auf Kosten aller Steuergesetze nötig wären, die die Reichen in die Verantwortung nehmen. Viele sind der Meinung, dass Geld für Bildung statt für Waffen ausgegeben werden sollte. Und immer mehr Menschen stören sich an grundrechtsverletzenden Polizeigesetzen, zunehmender Überwachung und kämpfen stattdessen für ein freies Internet.

Ja, es geht um alles. Um diesen Kontinent, der unter anwachsendem Nationalismus und chauvinistischer Verachtung ächzt. Das erinnert uns daran, dass Geschichte sich eben doch wiederholen kann. Manchmal ist es, als hätte das Nachkriegseuropa den roten Faden verloren.

Es geht wirklich um alles. Es geht darum, wie unser Leben künftig aussehen soll. Deshalb müssen wir klarziehen, dass das Übel aller Probleme nicht die Unterschiedlichkeit der Herkunft von Menschen ist, sondern immer noch der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Reich und Arm. Dort politische Konzepte anzusetzen und Lösungen zu entwickeln, ist die historische Aufgabe der Linken.

1. Wir als ostdeutsche Linke bringen uns ein, um dieses Europa gerechter zu gestalten Wir haben unsere Traditionen, nicht weil wir nostalgisch sind, sondern weil wir in unseren Dörfern, Städten und Regionen zuhause sind, die Menschen kennen, die die regionalen Eigenheiten schätzen und weiterführen, in den Dörfern der Lausitz, im Erzgebirge oder in Torgau. Zugleich kämpfen wir engagiert dafür, dass die klugen Köpfe der Bürger*innen für die nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung aktiv genutzt werden. EU-Mittel müssen in die Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft fließen, die unsere Zukunft entscheiden werden. Wir stehen dazu, dass die ärmsten Regionen in der EU die meiste Förderung in der EU erhalten müssen, aber wir sehen auch, dass für die Mehrheit der ostdeutschen Regionen eine umfassende EU-Förderung noch längere Zeit notwendig ist. Dazu bündeln wir uns mit den anderen ostdeutschen Interessenvertretungen, aber auch mit ähnlichen Regionen in Spanien, Frankreich und Italien, deren Entwicklungsstand ähnlich dem ostdeutschen ist. DIE LINKE. ist nicht nur eine starke ostdeutsche Interessenvertreterin, auf die sich die Bürger*innen auch weiterhin verlassen können. Wir bringen Erfahrungen ein, die für Europas Entwicklung bedeutsam sind. Das sind die teilweise äußerst problematischen Transformationserfahrungen nach der Wende 1989. Zwei Drittel aller Ostdeutschen haben nach 1989 ihr Berufsleben über Nacht völlig auf den Kopf stellen müssen, über 20% von ihnen wurden arbeitslos, mussten sich neue Existenzen unter schwersten Bedingungen erkämpfen. Die Sorge um das Morgen, um die Kinder und die zahlreichen Transformationsfehler der Wende haben sehr viele am eigenen Leibe erfahren. Der Strukturwandel erfolgte vor allem auf dem Rücken von uns einfachen Leuten. Diese ganz spezifische Gleichzeitigkeit von Altem und Neuen in der Gesellschaft sowie der Zwang, plötzlich neue Wege gehen zu müssen, davon können viele Menschen aus eigener Erfahrung sprechen. Und andere Regionen Europas können daraus lernen und hoffentlich vieles besser machen.

2. Wir wollen das Wohlstandsgefälle in der EU beseitigen
Die Länder der EU sind das reichste Territorium dieser Welt und doch leben 120 Mio. Menschen in tiefer Armut, nicht nur in Ostpolen oder in Bulgarien – auch bei uns leben Menschen ohne eigene Wohnung. Sie kämpfen täglich darum, über die Runden zu kommen. Deshalb treten wir dafür ein, dass die EU endlich ein Armutsbekämpfungsprogramm auf den Weg bringt, wo regionale und europäische Anstrengungen zusammengeführt werden. Soziale Politik für alle, die in Europa leben, muss durch konkrete Maßnahmepakete im mehrjährigen Finanzrahmen unterstützt werden. Besonders Ältere und auch Alleinerziehende müssen sich um die alltäglichen Dinge sorgen. Wir alle leiden unter Mängeln der Infrastruktur: Bahnhöfe und Krankenhäuser gehen und das schnelle Internet kommt nicht. Die Europäische Union braucht eine andere Tonart. Privatisierung von Wasser, Rentensystemen und der Daseinsvorsorge gehören freilich nicht dazu. Wer soziale Politik will, darf sie nicht privaten Profitinteressen überlassen.

Wer soziale Politik will, muss mit Spardiktaten aufhören, wie sie Griechenland acht Jahre lang ertragen musste.  Die Politik der Troika hat dazu geführt, dass Millionen Menschen in Griechenland, aber auch Spanien und Portugal verarmt sind.  Nutznießer der „Hilfspakete“ waren ausschließlich Banken, bei den Menschen in diesen Staaten ist nichts davon angekommen. Für uns ist klar: Eine solche Politik zerstört die Europäische Union und opfert die Idee der Solidarität. Eine solche Politik, die das Wohlstandsgefälle innerhalb der EU weiter auseinandertreibt, zerstört auch das Zusammenleben der Menschen.

Das Wohlstandsgefälle beseitigen verlangt auch eine andere Politik in den vom Strukturwandel betroffenen Regionen. Diese bedürfen nicht nur guter Worte, sondern größter Energien. Wir setzen uns in Sachsen und auf europäischer Ebene dafür ein, dass Regionen wie die Lausitz in den Focus der Regional- und Strukturförderung kommen. Wir kämpfen für mehr Eigenständigkeit für die Entscheidungen vor Ort und gegen bürokratische Bevormundung. Wir setzen uns ein für ganzheitliche Konzepte zur Strukturförderung, die auf stärkere Gemeinsamkeiten der betroffenen Regionen basieren und nicht eitles Gutshofdenken konservieren. Nur wenn die Menschen, die in den Regionen leben, einen gemeinsamen Plan entwickeln, können mittel- und langfristige Perspektiven entstehen.

3. Wir wollen in einer gesunden Umwelt leben Eine gesunde Umwelt beginnt in den Städten, wo die Abgase keine Menschen mehr krank machen, und in den ländlichen Regionen, wo die Agrarproduktion ihren Frieden mit Bienen schließt und Massentierhaltung abgeschafft ist. Kleinen Korrekturen reichen nicht – auch nicht bei der Energieversorgung. Es muss umgesteuert werden – hin zu erneuerbaren Energien als die Energieform der Zukunft. Dafür gibt es in Sachsen gute Voraussetzungen. Deshalb setzen wir uns für eine Energiewende ein, die zur Bekämpfung des Klimawandels nicht nur beiträgt, sondern ihn stoppt. Wir müssen weg von der Kohle, ohne die Lebensleistung der Arbeiter*innen zu diskreditieren. Die Konzerne haben jahrelang Gewinne erwirtschaftet und tragen die Verantwortung für die Beschäftigten, die wir ihrem Kampf ebenso unterstützen, wie die Klimabewegung. Wir unterstützen auch die Sammelklagen gegen die Autokonzerne, die jahrelang die Verbraucher belogen und Unsummen dafür eingesteckt haben. Die Alternativen zu Diesel und Benzin liegen auf dem Tisch. Es stünde Sachsen gut zu Gesicht, Vorreiter*in dafür zu werden! Wir wollen außerdem eine schrittweise Umstrukturierung der Landwirtschaft, die großen Agrargesellschaften müssen sich dem stellen. Außerdem gilt es, Spekulationen mit Nahrungsgütern endlich zu beenden. Wir wollen nicht, dass Bioabfälle und der Schrott Europas in afrikanischen Staaten ankommt, deren Umwelt verwüsten und wirtschaftliche Grundlagen zerstören. Mit halben Sachen geben wir uns nicht zufrieden. Deshalb muss Schluss sein mit den unsäglichen Plasteabfällen, die unsere Haushalte belasten, Meere und Halden zumüllen. Entsprechende EU-weite Verbote unterstützen wir.

4. Wir engagieren uns für ein selbstbestimmtes Leben Die Europäische Union hat in den 80er und 90er Jahren zu Geschlechtergleichstellung und Wahrung anderer zentraler Menschenrechte beigetragen. Wir rufen alle auf, ein konservatives Roll-Back zu den alten Geschlechterrollen energisch zu bekämpfen! Wir tolerieren es nicht, dass Frauen weniger verdienen als Männer. Gerade Deutschland gehört hier zu den schlimmsten Sündern. Wir verschließen nicht die Augen vor der Abschaffung der körperlichen Selbstbestimmungsrechte der Frauen z. B. in Polen oder der Drangsalierung von LGBTTIQ* in vielen Teilen Europas. Wir arbeiten grenzübergreifend zusammen mit Aktivist*innen aus unseren Nachbarländern für die Akzeptanz von Vielfalt und gegen jede Form von Verachtung gegenüber Menschen. Eine freie Gesellschaft kann es nur geben, wenn auch die Menschen, die in ihr leben, frei sind. Und dass wir Menschen unterschiedlich sein können, ist die Voraussetzung dafür, dass wir frei sind. Jedes Recht, dass wir anderen absprechen macht unsere eigenen Rechte angreifbar. Unsere Gesellschaft muss in allen Bereichen barrierefrei werden. Davon profitieren wir, jede und jeder, spätestens wenn wir selbst alt sind. Wir fordern die sächsische Regierung auf, endlich den EU-Richtlinien zur Barrierefreiheit zu entsprechen und alle öffentlichen Gebäude entsprechend auszustatten.

5. Wir streiten für ein faires Miteinander von Einheimischen und Ankommenden Wir erinnern daran, dass dieses Land von vielen Menschen gemeinsam aufgebaut wurde, im Westen auch mit türkischen, italienischen und jugoslawischen Arbeiter*innen und bei uns in Ostdeutschland mit Menschen aus Vietnam, Mosambik und anderen Ländern. Wir als LINKE. wollen, dass das nicht vergessen wird. Wir wollen, dass unsere Städte und Dörfer als Orte der Freundschaft in aller Munde sind. Als Orte, in denen sich alle wohl fühlen können. Schenken wird uns das niemand – deshalb brauchen wir den Dialog und die Hilfe zur Integration und zum besseren Verständnis. Polizei und Justiz können dies nicht stellvertretend für uns. Sie können und müssen in Krisensituationen und bei Kriminalität allerdings eingreifen. Sie müssen gleichfalls dafür sorgen, dass das Zeigen rassistischer und faschistischer Symbole und Abbrennen von Asylunterkünften in gleicher Härte verfolgt wird. Uns ist klar, dass es für soziale Prozesse keine Garantie und kein Rezept gibt, mit dem man Probleme wegzaubern kann. Um sich gemeinsam besser einzufinden, sind deutlich mehr Sozialarbeiter*innen nötig, Integrationsmaßnahmen, Wohnungen, Kitas, Jobs und Ausbildungsplätze für Migrant*innen. Und wir selbst sind dafür nötig, denn Integration ist keine Einbahnstraße. Menschen sollen sich nicht „assimilieren“ müssen, sondern in unserer Gesellschaft Wertschätzung erfahren. Nazi-Parolen und Angriffe auf Migrant*innen oder die Bedrohung von Frauen, die ein Kopftuch tragen, sind das Gegenteil einer Lösung. DIE LINKE. kämpft auf allen Ebenen, auf den Straßen und in den Parlamenten gegen jede, wirklich jede Form von Ausgrenzung und Spaltung! Auf europäischer und Landesebene treten wir für ein wirksames Integrationsgesetz ein! Dazu suchen wir den Dialog mit der Zivilgesellschaft unserer Nachbarstaaten, denn Integration darf nicht an der Binnengrenze enden. Zur offenen Gesellschaft gibt es keine erstrebenswerte Alternative.

6. Für uns gibt es kein Zurück zu geschlossenen Grenzen Gerade wir in Sachsen wissen doch, was es heißt vor geschlossenen Grenzen zu stehen. Viele DDR-Bürger*innen haben sich ihr Leben lang für offene Grenzen eingesetzt. Freizügigkeit ist kein Geschenk, sondern ein erkämpftes Recht, das wir nicht wieder preisgeben dürfen. Seit der Wende wurden enge Bande zu polnischen und tschechischen Gemeinden geknüpft, wurde gemeinsame grenzüberschreitende Infrastruktur geschaffen. Das wollen wir ausbauen: Internationale Schulen, Sprachkurse, die Anerkennung von Berufsabschlüssen europaweit. Wir wollen, dass die EU-Mittel dafür weiterhin für INTEREG-Regionen zur Verfügung stehen.

Wir erinnern aber auch daran, dass nach dem 2. Weltkrieg mehr als 40 Millionen Menschen in allen Teilen Europas Zuflucht suchten, allein 14 Millionen in ganz Deutschland. Offene Grenzen muss es weiterhin auch für Menschen in Not geben. Deshalb sind wir stolz, dass die Dresdner „Mission Lifeline“ Menschenleben auf dem Mittelmeer gerettet hat und wir wenden uns gegen jede Kriminalisierung von Lebensretter*innen. Wir streiten für ein humanistisches Asylrecht in Europa, das alle Mitgliedsstaaten zur Beteiligung in die Pflicht nimmt und faire Asylverfahren gewährt. Sowohl geschlossene Lager in Afrika als auch „Ankerzentren“ lehnen wir ab – und hilfreich sind sie im Übrigen auch nicht. Das individuelle Recht auf Asyl, schwer erkämpft unter den blutigen Erfahrungen des 2. Weltkrieges, verteidigen wir! Mit allen demokratischen Kräften arbeiten wir dafür zusammen!

7. Wir kämpfen für mehr Demokratie in Sachsen und Europa Für viele Bürger*innen ist die Europäische Union wie eine Art Black-Box. Die Regierungen im Europäischen Rat agieren wie Götter im Olymp. Sie treten die Rechte des Europaparlamentes mit Füßen, indem sie Verhandlungen blockieren, das Parlament umgehen, indem Einzelverträge abgeschlossen werden zu Themen, die im Parlament keine Mehrheit finden. Die Zerrissenheit der Union dokumentiert sich am deutlichen an diesem Ort, wo Nationalismus und Egoismus Einzug gehalten haben. Deshalb ist es wichtig, das Europaparlament in seinen Rechten zulasten des Rates zu stärken. Beispielweise muss es die Hoheit über den EU-Haushalt haben, ein Gesetzesvorschlagsrecht bekommen und starke Minderheitenrechte erhalten, sodass der Gang vor den Europäischen Gerichtshof erleichtert wird. Damit das nationale Klein-Klein ein Ende hat, aber auch, damit sich die einfachen Menschen, Arbeiter*innen, Angestellten, Solo-Selbstständigen und Arbeitslosen die Hände reichen und sich gemeinsam zusammenschließen und erheben können, braucht es echte europäische Parteien und nicht zuletzt eine starke europäische Linke.

Die Bürger*innen müssen ganz klar wissen, wo was entschieden wird und viel stärker daran beteiligt werden. Direkte Demokratie, verbindliche Bürgerentscheide, aber auch das Einholen von Meinungen, Vorschlägen muss auf einer neuen Stufe vertraglich geregelt werden. Ein Bürger*innenkonvent als ständige Einrichtung könnte dazu beitragen. Und wir brauchen unbedingt europäische Medien, Medien, die nicht nur über Frau Merkels oder Herrn Seehofers Brüsseler Ausflüge berichten und vielleicht noch Herrn Juncker ins Bild setzen. Wir brauchen ein besseres Abbild davon, was auf europäischer Ebene wirklich geschieht, wie Politik dort abläuft und wo sich die Bürger*innen einschalten müssen.

8. Wir setzen uns für mehr Mitbestimmung in den Kommunen ein
Kommunen und Regionen profitieren in vielfältiger Weise von speziellen Förderprogrammen der EU. So gibt es Fördertöpfe, um z.B. den kommunalen Städtebau zu unterstützen, den Ausbau der Infrastruktur, des öffentlichen Nahverkehrs, der Energieversorgung. Es gibt Beihilfen für Regionen, mit denen strukturelle Benachteiligungen vor Ort beseitigt werden können. Über Förderfonds wie dem Europäischen Sozialfonds (ESF) können etwa soziale Projekte Unterstützung erfahren, die der Armutsbekämpfung auf lokaler Ebene dienen, der Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben. Auf der anderen Seite wird ein großer Teil der EU-Regelungen mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Kommunen (etwa hinsichtlich Haushaltsrecht, die Ausschreibungspflicht für öffentliche Daseinsvorsorge und Dienstleistungen, Umweltschutz, Kommunalwahlrecht …) ohne direkte Beteiligung von Vertreter*innen der Kommunen beschlossen. Hier bedarf es der Vertretung kommunaler Interessen durch ein eigenes „Organ“, das nicht nur informell, sondern über ein Mitspracherecht an der Erarbeitung verbindlicher Rechtsakte und Regelungen der EU beteiligt ist. Als einen sinnvollen Schritt in diese Richtung betrachten wir die Stärkung des Ausschusses der Regionen als wichtigstes Vertretungsgremium der Regionen und Kommunen. Dafür müssen im Rahmen des Mehrebenen-Regierungssystems der EU die Regionen (Freistaat Sachsen) nicht nur über die Subsidiaritätsprüfung hinausgehende Initiativ‑, Kontroll- und Beteiligungsrechte erhalten, sondern diese auch für die Kommunen ausgebaut werden. Zugleich müssen die Regionen in den gesamten Gesetzgebungszyklus der EU einbezogen werden, um die berechtigten Interessen der europäischen Regionen und ihrer Bürger*innen bereits frühzeitig einzubringen.“ Als problematisch für eine selbstbestimmte Entwicklung von Kommunen sehen wir auch, dass zentrale Aufgaben der Daseinsvorsorge wie etwa Wasser, Müllentsorgung, Energie von der EU und ihren Mitgliedsstaaten als „normale Waren“ definiert und so in den Binnenmarkt integriert werden, statt sie als besondere Güter und öffentliche Aufgaben zu betrachten und zu bewahren.

EU-Regeln der Haushaltsführung, die sich am Prinzip der Kostendeckung orientieren, erlauben es den Kommunen nicht, quer zu subventionieren, etwa Mehreinnahmen aus einem Posten im Haushalt auf einen anderen Bereich wie z.B. Kultur oder Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge zu übertragen. Dabei sollte es doch der Gesetzgebung auf europäischer (wie auf Bundes‑, und Landes-) Ebene darum gehen, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass vieles von und in den Kommunen selbst entschieden werden kann und die Bürger*innen ermächtigt werden, über die Entwicklung ihres Lebensumfeldes mitzubestimmen.
Die Förderung der Vernetzung und des partnerschaftlichen Miteinanders zwischen Regionen und Kommunen, sowie eine intensivere Einbeziehung regionaler und kommunaler Belange in europäische Politik sind im Sinne eines Europas der Regionen unabdingbar.

9. Die Jugend in Europa soll die Zukunft mitgestalten
Es gibt in der Europäischen Union mehr als 70 Millionen junge Europäer*innen zwischen 15 und 25 Jahren. Entwicklungen auf der europäischen Ebene beeinflussen das Leben von jungen Menschen maßgeblich, indem sie einerseits neue Chancen aber auch neue Risiken und Probleme mit sich bringen. Die Auswirkungen der Finanzmarktkrise haben z.B. zu massiven Problemen und extrem hoher Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen in vielen Ländern des europäischen Südens geführt. Ländliche Regionen in Polen haben mit gleichen Herausforderungen wie ostdeutsche Regionen zu kämpfen: nicht nur wird die Infrastruktur Schritt für Schritt zurückgebaut, auch zieht es viele jungen Leute in Großstädte, wo sie auf bessere Ausbildungsmöglichkeiten und Jobs hoffen. Weil diese Probleme sich in vielerlei Hinsicht ähneln, bietet es sich an, diese über Grenzen hinweg gemeinsam anzupacken. Es müssen mehr Perspektiven für Jugendliche in Sachsen und überall in Europa, in der Stadt und auf dem Land, geschaffen werden. Dazu gehören attraktive und lebenswerte ländliche Räume, mehr Jugendangebote, mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze und ein aktives (sub)kulturelles Leben. Die EU-Mitgliedsstaaten sollten bei jugendpolitischen Fragen viel stärker zusammenarbeiten. Der Bildungsbereich ist ein hervorragendes Beispiel, das aufzeigt, das hier mehr Zusammenarbeit von Nöten ist. Wer schon mal ein Semester im Ausland studiert hat, weiß wie schwer es ist sich die im Ausland erbrachten Leistungen an der eigenen Hochschule anerkennen zu lassen. Diese bürokratischen Hürden müssen nicht sein und gehören abgebaut. Stattdessen brauchen es europaweit gleichen Zugang zu Bildungseinrichtungen, mehr europäische Austausch- und Stipendienprogramme – und das nicht nur für Student*innen. Es braucht außerdem eine bessere Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufs- und Bildungsabschlüssen. Das Programm Erasmus soll gestärkt und Angebote zu Praktika in Europa sollten weiter ausgebaut werden. Mehrsprachige Ausbildung an Schulen sollte selbstverständlich sein, und gerade in Sachsen bieten sich Polnisch und Tschechisch als weitere Fremdsprachen an und sollten daher gefördert werden. Weil sie im Europa von Morgen leben werden, müssen Jugendliche an der Gestaltung der europäischen Politik teilhaben und ein stärkeres Mitspracherecht in Bezug auf ihr Leben betreffende europäische Entscheidungen erhalten, z. B. in einem europäischen Jugendparlament. Für viele sächsische Jugendliche sind offene Grenzen und ein Wochenendtrip nach Prag oder Warschau eine Selbstverständlichkeit. Damit das nicht nur ein Privileg einiger Wenigen mit genug Geld bleibt, sondern sich zu einer Selbstverständlichkeit für alle jungen Menschen in Sachsen entwickelt, brauchen wir ein kostenfreies Europaticket für Schüler*innen, Azubis und Studierende, mit dem sie kostenfrei in unsere Nachbarländer reisen können. Das ÖPNV-Netz zwischen Sachen, Polen und Tschechien sollte stärker ausgebaut werden.

10. Wir treten dafür ein, dass unsere Daten sicher sind Die neue Datenschutzgrundverordnung und die Richtlinie für Polizei und Justiz sind so etwas wie die Straßenverkehrsordnung in der digitalen Welt, die alle Bereiche unseres Lebens berührt und seit Jahren verändert. Die Europäische Union hat damit eine Grundlage geschaffen, mit der die Menschen über die eigenen Daten entscheiden können. Daten sind mehr als das Öl des 21. Jahrhunderts, sie sind faktisch unerschöpflich – und sie sind unser Eigentum. Doch sie sind auch Gegenstand von Manipulation und Einfallstor zur Ausspähung ganzer Generationen von Menschen. „In der falschen Datei gelandet“ kann das verheerende Konsequenzen für Menschen haben, für ihren Job, ihr tiefstes Privatleben. Wir wollen auch nicht, dass unsere Daten weltweiten Geheimdiensten frei Haus geliefert werden und diese damit machen können, was sie wollen. Deshalb setzen wir uns für die Umsetzung der beschlossenen EU-Gesetze und für starke Aufsichtsgremien, wie die Datenschutzbeauftragten ein und sagen Facebook und Co.: „Solange ihr Menschen dazu zwingt, zutiefst persönliche und mehr Daten als nötig abzuliefern, solange werdet ihr Ärger mit uns bekommen und die nächste Klage vor dem EUGH ist schon vorbereitet!“.

Wir haben Misstrauen gegen die durch die Europäische Kommission initiierten europäischen und bis in die regionalen Polizeidatenbanken (in Sachsen: IVO, PASS) verknüpften Großdatensysteme (euLISA) im Bereich der Sicherheitsbehörden, die personenbezogene Daten für Polizei- und Grenzschutzbeamte über ein Einheitliches Europäisches Suchportal abrufbar machen sollen. Diese zunächst gegen sogenannte Drittstaatenangehörige gerichteten Datensammlungen könnten später durchaus auf Angehörige der Mitgliedstaaten erweitert werden. Die Daten bleiben in den Systemen gespeichert, unabhängig davon, ob sie in den Ursprungsdateien bereits aufgrund gerichtlicher Entscheidungen oder anderweitiger Erkenntnisse gelöscht werden mussten. So wird dieses System anfällig für Fehlentscheidungen.

11. Wir wollen, dass alle Menschen am kulturellen Leben teilhaben können
Sachsen mit seiner geografischen Lage im Länderdreieck bietet herausragende Möglichkeiten zu überregionalen kulturellen Beziehungen und Projekten mit Polen und Tschechien. Diese sollen in grenznahen Regionen und auch darüber hinaus intensiviert werden. Grenzübergreifende kulturelle Beziehungen bedeuten nicht nur Hochkultur, sondern auch Sub- und Jugendkultur. Konzerte und Festivals können Orte der Begegnung und Austausches mit unseren Nachbar*innen sein. Ostdeutschland, Polen und Tschechien teilen darüber hinaus auch die Erfahrung der postsozialistischen Transformation und des Strukturwandels, weshalb sich sowohl in Sachsen als auch bei unseren Nachbarn viele leerstehende Fabriken und Industriegelände finden. Statt diese weiter verfallen zu lassen, können hier unkonventionelle Wege gegangen werden. Die alten Industriebrachen können für Künstler*innen und Kulturschaffende aller drei Länder freigegeben werden, um diese mit neuem Leben zu füllen, was auch den ehemaligen Industriezentren zum erneuten Aufblühen verhilft. Es gibt einige EU-Fördertöpfe für kulturelle Projekte. Das Wissen um diese ist jedoch häufig schwer zugänglich. Daher sollen die verfügbaren Fördermittel für kulturelle Projekte transparent gemacht sowie Beratungsmöglichkeiten für einzelne Kulturschaffende, Kreative, Künstler*innen sowie Künstler*innenkollektive angeboten werden. Alle Menschen sollen am kulturellen Leben teilhaben können. Wir fordern kostenlosen Zugang zu Kultureinrichtungen wie Theater, Museen, Musik- und Konzertveranstaltungen.

12. Wir treten für gute Arbeit in allen EU‐Ländern ein

Zur Solidarität in Europa gehört für uns auch, dass es für alle Länder verbindliche Mindeststandards für die Arbeitsbedingungen gibt und dass Regelungen gelten, die verhindern, dass Regelungen wie die Niederlassungsfreiheit und die Arbeitnehmerfreizügigkeit missbraucht werden.
Wir fordern, dass Firmen, die in anderen Ländern tätig werden, sich an das im jeweiligen Gastland geltende Arbeitsrecht halten und geltende Mindestlohnregelungen respektieren müssen.

Wir treten für einen europäischen Mindestlohn als Untergrenze für nationale Regelungen ein. Atypische Beschäftigung muss in allen Ländern eingegrenzt werden. Darüber hinaus fordern wir eine deutliche Stärkung der europäischen Betriebsräte einschließlich Mitbestimmungsrechte.

Wir wollen ein Europa der Menschen und der Solidarität!

Für uns ist Europa ein Projekt der Solidarität, ein Projekt selbstbewusster Bürger*innen, die ihre eigene Demokratie gestalten. Dazu gehört auch, die Vielfalt der Kulturen, der Sprachen, der Lebensstile, der Träume und Visionen, die sonst nur Reisende erleben können, als dauerhafte Stärke dieses Kontinents anzuerkennen. Was wir in Sachsen haben, bringen wir ein und lernen Neues. Wir lassen uns nicht davon abbringen, Gemeinsames für diesen Kontinent zu entwickeln, nach vorn zu treiben, zu erstreiten. Freiheit in Gleichheit, Wohlfahrt, Rechtsstaatlichkeit und starke Grundrechte sollen dafür ebenso Grundlage sein, wie ein demokratischer Aufbruch in Europa. Wir wollen kein Europa des Kapitals, sondern eines für uns Menschen. Für ein solches Europa kämpfen wir, scheinbar gegen den Mainstream und doch mit Mehrheiten. Unsere Vision ist nicht die nationale Grenzstation. Denn es geht nicht um Nationen, sondern um Menschen. Unser Ideal ist auch ein Europa der Regionen und der alte Traum einer sozialen Republik, in alle Menschen frei sein können. Frei von Armut, frei von Gewalt und frei, das eigene Zusammenleben demokratisch zu gestalten. Hier, in Europa.