Karl Liebknecht

Politischer Anwalt – Dienstmädchen, Bettler und russische Revolutionäre als Mandanten: Matthias John auf den Spuren des Rechtsanwalts Karl Liebknecht

Anwalt und Mitgründer der KPD: Karl Liebknecht (1871–1919)

Matthias John: Gesammelte Prozesse des Karl Liebknecht (1900–1914), Bd. 1: Karl Liebknecht – »ein neuer Stern am juristischen Himmel« (Wilhelm Dittmann). Seine Anwaltstätigkeit im Spiegel der zeitgenössischen Presseberichterstattung (1900–1904). Trafo, Berlin 2022, 410 Seiten, 49,80 Euro

Rezension von Volker Külow

Der Leipziger Historiker Matthias John hat sich ein ehrgeiziges und sehr umfangreiches Projekt vorgenommen: eine mehrbändige Quellenedition der »gesammelten Prozesse« von Karl Liebknecht im Spiegel der zeitgenössischen Presseberichterstattung. Bisher sind zwei Bände erschienen. Im ersten Band werden die Jahre 1900 bis 1904 umrissen; der erste Teil des zweiten Bandes widmet sich dem aufsehenerregendsten Fall Karl Liebknechts, dem Königsberger Hochverrats- und Geheimprozess im Jahr 1904.

Seriöse Spezialstudien zu Liebknechts beruflichem Wirken als Anwalt sind nach wie vor ein Desiderat der Forschung. Die Herausgabe der »Gesammelten Prozesse« soll dazu beitragen, diese Forschungslücke zu schließen. Es muss dabei als ein glücklicher Umstand angesehen werden, dass die sozialdemokratische und zuweilen auch die bürgerliche Presse seinen Auftritten als Anwalt besondere Aufmerksamkeit widmete. Und das nicht nur wegen seines berühmten Familiennamens, sondern vor allem wegen seiner herausragenden anwaltlichen Fähigkeiten. Er galt, wie Wilhelm Dittmann in seinen Erinnerungen schrieb, als Stern am juristischen Himmel.

Von John erfahren wir, dass Liebknecht – der mit seinem Bruder Theodor eine gemeinsame Kanzlei betrieb – zwischen 1900 und 1914 an mindestens 218 Prozessen als Klagevertreter, Verteidiger, Angeklagter, Sachverständiger oder Zeuge beteiligt war. Folgt man John, war Liebknecht eher ein politischer als ein Armenanwalt, wenngleich zu seinen bisher ermittelten Mandantinnen und Mandanten auch zwei Dienstmädchen, eine Heimarbeiterin, mehrere Hausfrauen bzw. Wirtinnen und sogar ein Bettler zählten, der wegen angeblichen Betrugs angeklagt worden war. Im Jahre 1904 verteidigte er zwei Schulmädchen wegen angeblicher räuberischer Erpressung von fünf Pfennigen.

Er übernahm aber auch – zumeist aus finanziellen Gründen – Mandate in Fällen wie Diebstahl, Beleidigung, Hausfriedensbruch, ruhestörender Lärm, Unterschlagung, Urkundenfälschung, fahrlässiger Umgang mit Schusswaffen, Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz, Körperverletzung, Meineid oder Kindesentziehung. Allein diese Aufzählung offenbart eine außerordentlich breite juristische Fachkompetenz; Liebknecht vermochte immer wieder, Anklagen zu Fall zu bringen. Neben Kurt Rosenfeld, Wolfgang Heine, Hugo Heinemann und Hugo Haase war Karl Liebknecht wohl der herausragende Anwalt in der deutschen Sozialdemokratie.

Im Mittelpunkt des ersten Bandes steht sein erster großer politischer Prozess, die »Kaiserinsel«. Es ging dabei um den mutmaßlichen Plan von Kaiser Wilhelm II., auf der Havelinsel Pichelswerder ein Schloss zu errichten, in dem er auch im Falle politischer Unruhen sicher sein konnte. Am häufigsten übernahm Karl Liebknecht, wie in dem vorliegenden Band dokumentiert wird, die anwaltliche Vertretung in Verfahren, in denen es um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ging.

Im zweiten Band werden erstmals die seinerzeit im Vorwärts abgedruckten stenographischen Mitschriften, die Mitarbeiter des SPD-Zentralorgans im Juli 1904 während des Königsberger Geheimbunds- und Hochverratsprozess anfertigten, wiederveröffentlicht. Der Mangel bisheriger Editionen besteht darin, dass auf eine wissenschaftliche Kommentierung verzichtet wurde. Dem wird nun mit der vorliegenden Ausgabe abgeholfen. In diesem Prozess, dem auch in der bürgerlichen Presse ungewöhnlich große Aufmerksamkeit gewidmet wurde, hatte Karl Liebknecht, der schon zuvor russische Emigranten verteidigt hatte und daher mit der Materie sehr vertraut war, gemeinsam mit seinen Anwaltskollegen Hugo Haase und Hugo Heinemann die Verteidigung übernommen. Im Prozessverlauf deckten sie auf, wie eng die deutschen mit den russischen Polizei- und Justizbehörden zusammenarbeiteten, um der russischen Sozialdemokratie Schwierigkeiten zu machen. Im Mittelpunkt des Prozesses stand der mehr oder minder umfangreiche Schmuggel revolutionärer (in Deutschland zumeist erlaubter) Literatur in russischer Sprache – insbesondere der Schleichhandel mit der in München gedruckten Iskra – von Deutschland nach Russland.

Matthias Johns bisher erschienene Bände sind eine echte Fundgrube zum Leben und Werk von Karl Liebknecht. Der Rezensent wünscht ihm und dem Verlag die Kraft und die notwendigen finanziellen Mittel, um das Projekt erfolgreich fortzusetzen und zum Abschluss zu führen.

zu beitragen,
diese Forschungslücke zu schließen. Es muss dabei als ein glücklicher Umstand angesehen
werden, dass die sozialdemokratische und zuweilen auch die bürgerliche Presse seinen
Auftritten als Anwalt besondere Aufmerksamkeit widmete. Und das nicht nur wegen seines
berühmten Familiennamens, sondern vor allem wegen seiner herausragenden anwaltlichen
Fähigkeiten. Er galt, wie Wilhelm Dittmann in seinen Erinnerungen schrieb, als Stern am
juristischen Himmel.
Von John erfahren wir, dass Liebknecht – der mit seinem Bruder Theodor eine gemeinsame
Kanzlei betrieb – zwischen 1900 und 1914 an mindestens 218 Prozessen als Klagevertreter,
Verteidiger, Angeklagter, Sachverständiger oder Zeuge beteiligt war. Folgt man John, war
Liebknecht eher ein politischer als ein Armenanwalt, wenngleich zu seinen bisher ermittelten
Mandantinnen und Mandanten auch zwei Dienstmädchen, eine Heimarbeiterin, mehrere
Hausfrauen bzw. Wirtinnen und sogar ein Bettler zählten, der wegen angeblichen Betrugs
angeklagt worden war. Im Jahre 1904 verteidigte er zwei Schulmädchen wegen angeblicher
räuberischer Erpressung von fünf Pfennigen.
Er übernahm aber auch – zumeist aus finanziellen Gründen – Mandate in Fällen wie
Diebstahl, Beleidigung, Hausfriedensbruch, ruhestörender Lärm, Unterschlagung,
Urkundenfälschung, fahrlässiger Umgang mit Schusswaffen, Verstoß gegen das
Sprengstoffgesetz, Körperverletzung, Meineid oder Kindesentziehung. Allein diese
Aufzählung offenbart eine außerordentlich breite juristische Fachkompetenz; Liebknecht
vermochte immer wieder, Anklagen zu Fall zu bringen. Neben Kurt Rosenfeld, Wolfgang

Heine, Hugo Heinemann und Hugo Haase war Karl Liebknecht wohl der herausragende
Anwalt in der deutschen Sozialdemokratie.
Im Mittelpunkt des ersten Bandes steht sein erster großer politischer Prozess, die
»Kaiserinsel«. Es ging dabei um den mutmaßlichen Plan von Kaiser Wilhelm II., auf der
Havelinsel Pichelswerder ein Schloss zu errichten, in dem er auch im Falle politischer
Unruhen sicher sein konnte. Am häufigsten übernahm Karl Liebknecht, wie in dem
vorliegenden Band dokumentiert wird, die anwaltliche Vertretung in Verfahren, in denen es
um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ging.
Im zweiten Band werden erstmals die seinerzeit im Vorwärts abgedruckten stenographischen
Mitschriften, die Mitarbeiter des SPD-Zentralorgans im Juli 1904 während des Königsberger
Geheimbunds- und Hochverratsprozess anfertigten, wiederveröffentlicht. Der Mangel
bisheriger Editionen besteht darin, dass auf eine wissenschaftliche Kommentierung verzichtet
wurde. Dem wird nun mit der vorliegenden Ausgabe abgeholfen. In diesem Prozess, dem
auch in der bürgerlichen Presse ungewöhnlich große Aufmerksamkeit gewidmet wurde, hatte
Karl Liebknecht, der schon zuvor russische Emigranten verteidigt hatte und daher mit der
Materie sehr vertraut war, gemeinsam mit seinen Anwaltskollegen Hugo Haase und Hugo
Heinemann die Verteidigung übernommen. Im Prozessverlauf deckten sie auf, wie eng die
deutschen mit den russischen Polizei- und Justizbehörden zusammenarbeiteten, um der
russischen Sozialdemokratie Schwierigkeiten zu machen. Im Mittelpunkt des Prozesses stand
der mehr oder minder umfangreiche Schmuggel revolutionärer (in Deutschland zumeist
erlaubter) Literatur in russischer Sprache – insbesondere der Schleichhandel mit der in
München gedruckten Iskra – von Deutschland nach Russland.
Matthias Johns bisher erschienene Bände sind eine echte Fundgrube zum Leben und Werk
von Karl Liebknecht. Der Rezensent wünscht ihm und dem Verlag die Kraft und die
notwendigen finanziellen Mittel, um das Projekt erfolgreich fortzusetzen und zum Abschluss
zu führen.